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Gedanken zur Jahreslosung 2021

4. Januar 2021

Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!
(Lukas 6,36)

Ein Abend bei der Männer-Bergwanderung von Hütte zu Hütte im vergangenen Sommer. Der Tag war lang gewesen, die Etappe anstrengend. Jetzt saßen wir, wie jeden Abend, noch zusammen, um den Tag zu beenden. Bei Almdudler und Bier kommt das Gespräch auf das Thema „Väter“. Die Männer erzählen, wie sie ihre Väter erlebt haben und die meisten Erfahrungen sind schmerzlicher Art: Es gab den abwesenden Vater, den schlagenden Vater, den zynischen und den gefühlskalten Vater. Ein Attribut wird gar nicht genannt – von einem barmherzigen Vater ist nicht die Rede.
„Vater“ und „barmherzig“ – in der Erfahrung vieler Männer steht das offensichtlich nicht so nahe beieinander wie in dem Satz Jesu, der für 2021 als Jahreslosung ausgewählt wurde: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ Jesus wird in der Bergpredigt (oder in der „Feldrede“, wie sie bei Lukas genannt wird) mit diesen Worten zitiert. Was für viele Männer (und für viele Frauen!) nicht zusammen passt, das ist für Jesus das Selbstverständlichste zwischen Himmel und Erde: „Euer Vater ist barmherzig!“ Nicht seine Härte macht ihn aus, nicht seine Gnadenlosigkeit oder Unberechenbarkeit – sondern seine Barmherzigkeit, was wir heutzutage vielleicht eher mit den Worten „Wohlwollen“ oder „Nachsicht“ bezeichnen würden. Der Vater Jesu, der himmlische Vater – in Sachen Freundlichkeit und Mitgefühl macht ihm niemand etwas vor. Und er inspiriert seine Söhne (und auch seine Töchter), sich an dieser Barmherzigkeit ein Beispiel zu nehmen.

Wie anders sähe diese Welt aus, wenn diese Jahreslosung für 2021 umfassend gelebt und praktiziert würde. Männer, die gnädig und barmherzig mit ihren Frauen, ihren Kindern, ihren Kolleg*innen wären! Männer, die gnädig und barmherzig mit sich selber wären! Die sich nicht von Konkurrenz, Abgrenzung, Rivalität leiten ließen, sondern die gut zu sich und anderen wären. Ein Fleischproduzent, der seine Angestellten nicht wie Tiere behandelt. Ein strauchelnder Familienvater, der sich Hilfe sucht. Ein Leistungsträger, der die Not und die Würde des Obdachlosen sieht. Ein Zweifler, der sich endlich vergibt, was er sich nie vergeben konnte. Ein Sohn, der seinem Vater eine neue Chance gibt.

Das Gespräch auf der Berghütte geht seinem Ende entgegen, der Wirt will das Licht löschen und hat die Hüttenruhe angesagt. Einer aus der Runde trinkt seinen letzten Schluck aus und sagt: „Ich bin ja nicht nur Sohn meines Vaters. Ich bin auch Vater meiner Kinder. Wie erleben mich meine Kinder? Was werden sie von mir erzählen?“ Es wäre verdammt großartig, wenn unsere Söhne und Töchter eines Tages zu berichten hätten: Wenn ich nur ein Wort hätte, um zu beschreiben, wie mein Vater war – ich würde sagen: An Wohlwollen konnte ihn niemand übertreffen.

Martin Treichel